Tee auf dem Mond

Der Schlaf sucht die Kinder nicht heim, wildes Toben, müde Eltern. Dann eine kleine Traumreise zum Mond. Ein Kind schläft, das andere wacht, aber es gibt ja noch Papa und so kann Mama eine kleine Geschichte schreiben und lädt nun zum Tee am Mond:

Tee auf dem Mond

Der Mondmann saß in seinem Teepavillon und blickte wehmütig über die weiße, weite Mondlandschaft hinweg. In seiner Hand hielt er eine langstielige Pfeife aus der weißer Rauch zum dunklen Himmel aufstieg. Ab und zu schwebte aus dem Rauch eine Seifenblase auf. Auf dem kleinen, runden Marmortisch vor ihm stand eine gusseiserne Kanne mit dampfendem Tee – daneben zwei irdene Tassen, schwarz und irisierend. Die Tasse des Mondmannes war fast leer, die seines Gegenübers war randvoll, unberührt. Der Mondmann wandte sich wieder seinem Gast zu und fragte: „Und ich kann Sie wirklich nicht zu einer Tasse Tee überreden? Bester Mondtee mit Milch von glücklichen Mondkälbern?“ Der Astronaut schüttelte den Kopf und deutete auf seinen Helm. „Verstehe, Sie können ihn nicht abnehmen, weil Sie dann ersticken würden, wie ich annehme?“ Der Astronaut nickte stumm. Der Mondmann seufzte: „Ihre Wissenschaft macht Träume wahr und wahre Wunder unmöglich.“
Er schwieg und nahm einen Schluck von seinem Mondtee. „Aber immerhin, Sie können mich sehen und verstehen. Das alleine sollte Ihnen schon unmöglich sein, und doch sitzen wir beide hier und blicken zusammen auf die Mondlandschaft. Aber ich bezweifle, dass wir das gleiche sehen.“ Er blickte auf den Astronauten. Das Visier des Helmes reflektierte seine eigene seltsame Gestalt. Der Mondmann hatte ein Gesicht, das ein wenig an einen Halbmond erinnerte, lang und blass, das Kinn bog sich leicht nach oben. Die Augen waren freundlich, aber auch traurig. Er trug einen schwarzen Morgenmantel mit silberner Stickerei. Seine schlanken Beine steckten in engen Hosen, die knapp unter dem Knie endeten und er trug silberne Pantoffeln, die mit erlesener Perlenstickerei verziert waren, so dass selbst Ludwig der XIV. seine Freude daran gehabt hätte. Der Mondmann war eine eindrucksvolle Gestalt – aber die reine Melancholie. Er nahm die etwas einseitige Konversation wieder auf. „Zugegeben heute ist der Mond etwas leer, eine majestätische Wüste mit vereinzelten Mondbestien und anderen seltsamen Kreaturen. Sie hätten ihn noch vor wenigen Jahrhunderten sehen sollen! Städte, Meere, Wunder über Wunder  – und man konnte den Mond von der Erde noch mit einem Fesselballon oder Feuerwerksraketen erreichen. Lesen Sie Cyrano, mein Freund, vertrauen Sie dem Lügenbaron!“ Er nahm einen Zug aus seiner Pfeife und während der Rauch aus seinem Mund dem dunklen Sternenhimmel entgegen stieg, entschwebte seiner Pfeife eine weitere Seifenblase, besonders groß und schillernd. „Aber auch ein Wissenschafter hat Träume, nicht wahr?“
Der Astronaut blickte der Seifenblase nach, sie schwebte knapp an ihm vorbei. Auf einmal war der Astronaut sehr aufgeregt, er deutete auf die Seifenblase. Als sie plötzlich aufstieg, sprang der Astronaut auf, fast so, als wollte er sie festhalten. „Jede Seifenblase – ein Traum,“ nickte der Mondmann. Die Seifenblase verharrte kurz noch einmal auf Augenhöhe des Astronauten. In ihrem Inneren erblickte er ein Zimmer – ein einfaches Kinderzimmer. Auf dem Bett lag ein kleiner Junge mit kurzem blondem Haar. Er las begeistert in einem Buch: Peterchens Mondfahrt. An der Wand neben dem Bett hing ein großes Poster, das eine Rakete zeigte: die SaturnV. Die Seifenblase schwebte davon. Als der Astronaut sich umsah, erblickte er statt der weißen Mondwüste eine bizarr herrliche Landschaft vor sich – Bäume mit silbernen Blättern, weite Wiesen und Felder, darüber flogen Vögel, deren Schnäbel wie Flöten geformt waren. In der Ferne Vulkane und ein Meer – alles silbrig – weiß und unwirklich. Überrascht blickte er auf den Mondmann, aber langsam verschwand die paradiesische Landschaft und auch der Mondmann und der Teepavillon verblassten. Der Astronaut hörte noch ein Flüstern, dann begrüßten ihn die Stille und Leere des Erdtrabanten. Er schüttelte seinen Kopf, dabei fiel sein Blick auf ein Stück dunklen Gesteins, das auf dem Mondboden lag – schwarz, irisierend und hohl.
Viele Jahre später dachte der Astronaut noch an die seltsame Begegnung zurück. Wenn Vollmond war, blickte er durch sein Teleskop zum Himmel hinauf und konnte mit seinem Fernrohr die Konturen der neuen Mondsiedlungen Luna I und Luna II ausmachen. Dann lächelte er melancholisch, dachte an den Mondmann und hoffte, dass er noch immer Gäste zum Tee empfing.

Eine Antwort auf „Tee auf dem Mond“

  1. Oh wie schön! Deine Kinder sollten öfter schlaflose Nächte haben, wenn dabei so bezaubernde Dinge entstehen 😉

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